Das Interview

Interview mit Dr. med. Matthias Soyka

Lieber Herr Dr. Soyka, wir wollen heute über das Thema „Softer Ausstieg aus dem Berufsleben“ sprechen – was bedeutet das für Sie persönlich?

Tatsächlich befinde ich mich derzeit in einer Phase des Umbruchs: Ich habe dieses Jahr nach 23 Jahren meine Kassenzulassung abgegeben und meine kassenärztliche Praxis verlassen. Ich würde diese Lebensphase für mich aber weniger als Ausstieg bezeichnen – eher als Änderung. Oder anders gesagt: Nach der Pflicht kommt die Kür!

Sie werden Ihren Patienten und Ihrem Beruf ja weiterhin erhalten bleiben …

Genau, ich habe 100 Meter von meiner bisherigen kassenärztlichen Praxis entfernt eine privatärztliche Praxisgemeinschaft, die es bisher auch schon gab. Künftig werde ich ausschließlich dort praktizieren. Mein Ziel ist es, etwa 23 bis 25 Stunden pro Woche in der Praxis zu arbeiten. Damit reduziert sich meine Arbeitszeit etwas, vor allem aber reduziert sich der Anteil an Bürokratiearbeit, denn was da in einer kassenärztlichen Praxis geleistet werden muss, ist inzwischen einfach unzumutbar.

Spielt die Pandemie für Ihre Entscheidung auch eine Rolle?

Nein, die Pandemiesituation war kein Entscheidungsfaktor für mich. Das große Thema ist wirklich die Bürokratie, und ich habe gesehen, wie unter Gesundheitsminister Spahn die Zwänge durch immer neue Reglementierungen weiter drastisch zugenommen haben. Ich nenne als Beispiele nur die offenen Sprechstunden, die man anbieten muss, und den Zwang zum Anschluss an die Telematik-Infrastruktur. Das ist ein Ausmaß an Fremdbestimmung, das schwer zu ertragen ist. Im Corona-Jargon gesagt: Spahn war für uns Ärzte ein Bürokratie-Booster, und die Nebenwirkungen sind enorm. Ich kenne viele Kollegen, die es so machen wie ich oder intensiv mit dem Gedanken spielen, ihre Kassenzulassung abzugeben. Gerade die Generation von Ärzten, die ihre Praxen weitgehend abbezahlt haben, werden durch den Bürokratie-Druck vorzeitig aus dem GKV-Sektor gedrängt. Was der Gesellschaft da an Erfahrung, Wissen und engagierter Arbeit verlorengeht, ist überhaupt nicht abzuschätzen.

Trotz aller Erleichterung, dass Sie nun weniger Bürokratie in Ihrem Alltag haben werden: Schwingt auch ein wenig Wehmut bei der Aufgabe Ihrer kassenärztlichen Praxis mit?

Ja, auf jeden Fall. Ich liebe ja meinen Beruf. Insgesamt weniger Patienten bedeutet für mich auch, weniger interessante Fälle zu haben. Vor allem werde ich weniger mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben, das finde ich schade. Mein soziales Umfeld dagegen ändert sich nicht, denn mit meinen bisherigen Kollegen und Mitarbeitern werde ich weiterhin zusammenarbeiten. Und einige meiner Kassenpatienten sind mir in die privatärztliche Praxisgemeinschaft gefolgt, zum Beispiel um sich eine Zweitmeinung von mir einzuholen. So ist es wirklich ein softer Ausstieg – zwar noch nicht aus dem Berufsleben, aber aus der kassenärztlichen Tätigkeit.

Obwohl sie künftig weniger Zeit mit Patienten und Bürokratie verbringen, dürften Sie vor Langeweile dennoch keine Angst haben …?

Oh nein, ich habe so viel vor! Zum einen möchte ich wieder wissenschaftlich arbeiten, und zwar zu meinem Lieblingsthema Kalkschulter bzw. Frozen Shoulder. Dazu habe ich einige Forschungsfragen, die sich direkt aus meinem Arbeitsalltag, aus der ärztlichen Praxis ergeben haben. Begleitend möchte ich dazu ein Buch schreiben mit Eigenübungen für betroffene Patienten, wie ich es bereits für Rückenübungen gemacht habe. Die Aktivierung des Patienten ist ja so was wie ein Markenzeichen meiner Arbeit – Hilfe zur Selbsthilfe. Viele Übungen zeige ich auch in meinem YouTube-Kanal, für den ich längst schon mal wieder ein neues Video machen wollte. Für solche Dinge habe ich jetzt wieder mehr Zeit.

Und dann haben Sie noch jede Menge privater Interessen …

Ja, ich möchte noch mehr Wellenreiten gehen und mit meinem Hund durch die Gegend rennen. Mein Hund ist sehr lauffreudig. Er wird momentan zum Personensuchhund ausgebildet, das ist eine tolle Freizeitbeschäftigung. Daneben bin ich auch noch lese- und schreibsüchtig.

Meine Philosophie ist, dass es uns Menschen guttut, wenn wir so lange wie möglich aktiv bleiben, auch beruflich aktiv, und mit fortschreitendem Alter Schritt für Schritt die Gewichtung der Tätigkeitsbereiche in unserem Leben anpassen.

… der softe Ausstieg als allgemein empfehlenswertes Modell also?

Ja, genau. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir so lange wie möglich arbeiten sollten, bis zum Lebensende sogar. Natürlich lässt ab etwa 40 Jahren die Spannkraft nach. Dem werden wir gerecht, indem wir die Power aus dem Beruflichen mit den Jahren ganz langsam rausnehmen. Arbeiten oder Ruhestand – das sind Zuspitzungen, als ob es nichts dazwischen gäbe. Selbst die Altersteilzeit wird ja oft so genutzt, dass die Leute ihr gewohntes Pensum aufrechterhalten und dann zu einem früheren Zeitpunkt aus dem Berufsleben abrupt aussteigen. Dabei wäre es doch viel besser, wenn wir unsere Tatkraft so lange wie möglich erhalten und auch nutzen, und das gelingt umso besser, wenn wir nicht immer am Limit arbeiten – aber eben das tätige Sein auch nicht völlig aufgeben.

Sehen Sie das für vorwiegend körperlich arbeitende Menschen genauso?

Auf jeden Fall. Natürlich kann ein Über-Sechzigjähriger nicht die gleiche körperliche Leistung bringen wie sein 35-jähriger Kollege. Es gibt aber immer noch viele Bereiche, in denen er seine Erfahrung und seine Fähigkeiten einbringen kann. Es ist ein großer gesellschaftlicher Verlust, wenn wir diese Kompetenzen nicht nutzen. Und der Einzelne darf sich weiterhin gebraucht und geschätzt fühlen. Davon profitieren alle.

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